Archive for 3. Oktober 2011

Résumé auf den 3. Oktober

Helmut Kohl wird zu Recht als Vater der Deutschen Einheit gefeiert. Aber das ist nicht seine einzige Hinterlassenschaft als Kanzler. Er hat den Deutschen auch den Euro gebracht – und dabei einen Vertrag unterschrieben, der die Zukunft des Landes bedroht.

Unter Historikern war immer schon eine beliebte Frage, wer als der größte deutsche Kanzler zu gelten hat. Die meisten geben Konrad Adenauer den Vorzug, weil er das Land nach dem Fall in den Nationalsozialismus zurück in die Völkergemeinschaft führte. Einige nennen Willy Brandt, der in den Deutschen die Leidenschaft für die Demokratie weckte. Der dritte, der für diesen Ehrentitel in Frage kommt, ist Helmut Kohl, auch wenn das bis heute in manchen Vierteln der Republik nicht gern gehört wird.

Die Deutschen haben ihm enorm viel zu verdanken, allem voran die Wiedervereinigung, die viele schon aufgegeben hatten, als sie plötzlich in greifbare Nähe rückte. Man kann sogar zu der Überzeugung gelangen, dass es ohne Kohl mit der Einheit nichts geworden wäre, jedenfalls nicht so schnell und nicht in dieser, für die Bundesrepublik so vorteilhaften Form.

Doch der schwarze Riese hat den Deutschen nicht nur die Einheit gebracht, die wir an diesem Tag wieder feiern können. Seine andere große Hinterlassenschaft ist der Euro, und wenn die Dinge sich in diesem Fall so weiter entwickeln wie bisher, dann ist dies zweite Erbe geeignet, das erste erheblich zu verdüstern.

Bislang hat niemand die Frage nach der Verantwortung des Altkanzlers gestellt, dabei ist sie unausweichlich: Wie, um Gottes Willen, konnte er Deutschland in einem Vertrag binden, der Zukunft und Wohlstand unseres Landes bedroht?

Zur historischen Wahrheit gehört, dass es ohne den Euro die Wiedervereinigung so nicht gegeben hätte. Beide Projekte gehören untrennbar zusammen. François Mitterrand, der hinter den Kulissen nach Kräften gegen die Einheit intrigierte, machte seine Zustimmung von der Einwilligung der Bundesregierung zur Währungsunion abhängig. Den Deutschen die D-Mark und damit die monetäre Herrschaft über Europa entwunden zu haben, galt den Franzosen als vertretbarer Preis, sich mit einem größeren und erstmals wirklich souveränen Deutschland abzufinden.

Die Frage ist also nicht, ob Kohl die Währungsunion hätte verhindern können (das konnte er nicht). Die Frage ist, weshalb sie so viele Länder umfasst, die nicht in diesen Club hineingehören, und warum der Vertrag so schludrig ausgehandelt ist, dass er auch im Nachhinein keine Korrektur der Teilnehmerliste erlaubt. Wir hätten heute einige Probleme weniger, wenn sich die Gründerväter beizeiten darüber Gedanken gemacht hätten, wie man mit einem Mitglied verfährt, das sich partout nicht an die Vereinsregeln halten will. So etwas macht man bei der Satzung jedes Golfclubs.

Was antworten Kohl und sein treuer Weggefährte Theo Waigel, wie ihnen ein solcher Fehler unterlaufen konnte? Alle Probleme hätten mit Rot-Grün begonnen, sagen sie, hätten sie noch das Sagen gehabt, wären die Griechen niemals zum Euro gekommen. Aber das ist, mit Verlaub, Unsinn. Niemand wird ernsthaft annehmen können, dass ausgerechnet der überzeugte Europäer Kohl Griechenland die Tür gewiesen hätte, wenn diese Entscheidung schon zu seiner Zeit angestanden hätte. Er hatte auch kein Problem mit Portugal, dessen Wirtschaftsdaten nicht viel beeindruckender waren; und natürlich war auch Italien gleich mit von der Partie, obwohl überall zu lesen war, wie sich das Land auf die Schnelle gesund gerechnet hatte.

Kohl war immer ein Vertreter der pathetischen Politik, die von den Erfordernissen des Realen absieht, wenn es um höhere Ziele geht. Diese Politik operiert mit Kategorien, gegen die sich wirtschaftliche Erwägungen klein ausnehmen, alles gerät ihr schnell zur Frage von Krieg und Frieden. Das kann, wie im Fall der deutschen Einheit, glückhaft enden – aber eben leider auch in ein furchtbares Debakel münden.

Kritiker des Euro-Projekts, wiesen gleich zu Beginn darauf hin, dass es ein heikles Unterfangen ist, die Mentalität von Menschen ändern zu wollen. „Die Psychologie von Nationen kann nicht außer Acht bleiben, da hilft kein Befehl“. Darin waren alle romantischen Anwandlungen in der Außenpolitik suspekt, wenn als Vergleich die Bismarcksche Politik studiert ist. Er wusste, was kommen würde.

Wie jetzt weiter? Eine Möglichkeit ist die Ausdehnung des Solidarbegriffs. Die Deutschen haben ja Übung mit Finanzausgleichen, sie praktizieren diese seit Jahren im eigenen Land. In Zukunft würde der brave Mann in Stuttgart dann eben nicht nur eine Stunde am Tag für die Brüder und Schwestern an der Saar und in Bremen arbeiten, sondern zusätzlich noch zwei für die weiter entfernten Verwandten in Spanien und Portugal. Es spricht einiges für die Annahme, dass der Nationalstaat die größte gesellschaftliche Einheit ist, in der solche Form der staatlich administrierten Solidarität funktioniert. Man wird dann sehen, ob sie sich auch über Sprachräume und Kulturgrenzen hinweg befehlen lässt.

Wer eine solche Transferunion nicht will, muss über eine Verkleinerung der Euro-Zone nachdenken. Es ist nicht leicht zu erkennen, wie das gehen soll, ein solcher Ausweg ist von den Gründern nie bedacht worden.

Aber wer den Maastricht-Vertrag in die eine Richtung bricht, kann das auch in die andere tun. Diese Tür ist jetzt offen. Kein Land haftet für die Schulden eines anderen, heißt es in dem Vertragstext. Diese Festlegung ist spätestens seit vergangener Woche mit der Entscheidung des Bundestages zur Ausweitung des Rettungsschirms Makulatur.

Knapp ein Jahr nach Ratifizierung des Euro-Vertrages wurde schon gewarnt: „Die Probleme, die jetzt nicht gelöst werden, müssen die Deutschen ausbaden, wenn all die Maastricht-Macher nicht mehr im Geschäft sind und in ihrer Gartenlaube sitzen.“

Dem kann man auch an diesem Feiertag, 21 Jahre später, nicht widersprechen.

 

3. Oktober 2011 at 12:27 Hinterlasse einen Kommentar

Piraten wirbeln das politische Kräfteverhältnis durcheinander

Wegen des Aufstiegs der Partei hätten SPD und Grüne bei Bundestagswahlen erstmals seit langem keine Mehrheit mehr.

Der bundesweite Aufstieg der Piraten-Partei nach der Berlin-Wahl hat zufolge deutliche Auswirkungen auf die Parteienlandschaft. Wenn jetzt Wahlen wären, hätten SPD (28 Prozent) und Grüne (17 Prozent) dadurch erstmals seit langer Zeit keine eigene Mehrheit im Bundestag mehr.

Bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl hatte die Piraten-Partei vor zwei Wochen 8,9 Prozent der Stimmen geholt und war damit erstmals in ein Landesparlament eingezogen. Sie stellt in Berlin künftig 15 Abgeordnete.

In ähnlicher Stärke wollen die Piraten auch in anderen Bundesländern in die Parlamente einziehen. Der Piraten-Landesvorsitzende in Brandenburg, Michael Hensel, sagte: „Wir haben das Potenzial, 2014 in den Landtag einzuziehen.“ Die Fünf-Prozent-Hürde solle auf jeden Fall geknackt werden, am Programm werde gefeilt. Seit dem Wahlerfolg in der Hauptstadt treten auch in Brandenburg mehr und mehr Mitglieder den Piraten bei. 448 Mitglieder sind es momentan. Seit der Abgeordnetenhauswahl gibt es 90 Neuzugänge.

Was ist das Geheimnis der Piraten? „Wir sind eine grundlegende Alternative zu den anderen Parteien“, sagte Hensel. Als Protestpartei möchte er die Piraten nicht verstanden wissen. Die Menschen wünschten sich mehr Mitspracherechte und seien von den etablierten Parteien enttäuscht. Die Piraten wollten die Politik „gläsern“ gestalten. Auch Sachsens Piraten fühlen sich im Aufwind. Landeschef Andreas Romeyke sagte: „Vor allem in Leipzig und Dresden kamen nach dem Berliner Erfolg der Piraten sehr viele Bürger zu unseren Infotreffen. Allein in Leipzig 22 Neue in einer Woche.“

Zuvor hätten etwa 360 Sachsen der Partei angehört, „davon 180 zahlende und damit stimmberechtigte“ Mitglieder, sagte Romeyke. Er geht davon aus, dass das derzeitige Interesse an der Piraten-Partei kein kurzer Hype ist. „Spätestens in Berlin haben wir bewiesen, dass wir es ernst meinen“, sagte er. „Wir sind auch keine Spaßpartei, sondern eine Partei, mit der Politik wieder Spaß macht.“

Wie kann es sein, dass bei richtiger Politik 40% zu Hause bleiben? Seit Berlin die Hauptstadt ist regiert Grosskotz und Deutschland führt wieder Kriege. Seither gibt es keine „richtige Politik“ mehr. Ein Dorf im Herzen Deutschlands, das wäre der Ort, wo Politik gemacht werden sollte.

Der Bürger hat sich schon seine Meinung gebildet. Auf 60% kommen doch die meisten Wahlen garnicht mehr. Teilweise stellen die Nichtwähler ja schon die absolute Mehrheit. Hier die Regierungspartei die außer dummen Spüchen nichts bietet, auf der anderen Seite die blasse Opposition mit der alles nur noch schlimmer wird und wo sich beim Blick durch die Reihen nicht mal ein Kanzlerkanditat findet…

3. Oktober 2011 at 06:04 Hinterlasse einen Kommentar

Das Steuerabkommen mit der Schweiz trifft die Sünder unterschiedlich

Dann wird es Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Bundestag doch zu viel. „Das ist ein Skandal“, ruft er. Es handle sich um verleumderische Behauptungen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hätten. Vorausgegangen waren heftige Verbalattacken der SPD. Vertreter aus ihren Reihen drohten: Schäuble könne nur mit der notwendigen Zustimmung im Bundesrat rechnen, wenn er das Steuerabkommen mit der Schweiz noch einmal nachverhandele. „Die großen Steuerhinterzieher kommen mit einem Billigtarif davon“, fasste der stellvertretende SPD-Fraktionschef Joachim Poß am Donnerstag seinen Unmut zusammen.

Verleumderische Behauptungen oder tatsächlich ein Billigtarif? Ein Ergebnis vorweg: Die schwersten Steuersünder können sich tatsächlich am meisten freuen.

Der Reihe nach: Bis zum 31. Mai 2013 müssen sich alle Steuerflüchtlinge mit Schweizer Konto entscheiden, ob sie von der neuen pauschalen Abgeltungslösung Gebrauch machen wollen oder doch lieber auf die seit Jahren mögliche Selbstanzeige zurückgreifen. Als dritter Weg bleibt die Fortsetzung der Flucht in eine noch nicht ausgetrocknete Steueroase – für viele wohl keine Lösung, ist die Entdeckungsgefahr in den vergangenen Jahren doch weltweit deutlich gestiegen.

Bei der pauschalen Abgeltung führen die Schweizer Banken zwischen 19 und 34 Prozent des Kundenvermögens an den deutschen Fiskus ab – anders als bei der Selbstanzeige geschieht dies vollkommen anonym. Mit der Nachzahlung sind alle Sünden der Vergangenheit verziehen, der Steuerflüchtling bleibt wie bei der Selbstanzeige straffrei. Ob sich die bisherigen Schwarzgeldbesitzer die Anonymität wenigstens teuer erkaufen müssen, ist die Frage, die viele umtreibt. Der Unterschied zwischen 19 und 34 Prozent kann nicht nur ein paar Tausend Euro, sondern schnell mehrere Hunderttausend Euro ausmachen.

Die entscheidende Rechenformel in dem Abkommen ist alles andere als trivial. Sie enthält viele Brüche, Klammern und Variablen. Jeder Fall muss einzeln berechnet werden. Ausschlaggebend ist immer die Zeit zwischen dem 31. Dezember 2002 und dem 31. Dezember 2012. Die Schweizer Banken werden sich 2013 die Depotwerte an diesen beiden Stichtagen anschauen. Länger zurück müssen sie nicht gehen, da frühere Steuerdelikte dann verjährt sind. Um bis 2013 hastige Kapitalverschiebungen zu verhindern, gilt der höhere Depotwert: entweder Ende 2010 oder Ende 2012.

Wenn sich das Vermögen um nicht mehr als 50 Prozent vermehrt hat, kommt der Mindestsatz in Höhe von 19 Prozent des relevanten Kapitals zur Anwendung“. Der Regelfall (Fall 1). Die 34 Prozent würden nur in absoluten Ausnahmefällen relevant. Dafür dürfte am Ausgangsstichtag kaum mehr als ein Euro im Depot sein, das gesamte Vermögen muss sich im relevanten Zeitraum angesammelt haben (Fall 2).

Die beiden konstruierten Fälle geben auch Antwort auf die Frage, für wen statt der pauschalen Abgeltung die Selbstanzeige das Mittel der Wahl sein sollte. Entscheidet sich der reuige Steuerflüchtling für die Selbstanzeige, zieht der Fiskus die ausstehenden Steuern eines jeden noch relevanten Jahres ein – und berechnet obendrauf noch Strafzinsen in Höhe von sechs Prozent pro Jahr.

Wer seit 2003 kein Geld mehr in die Schweiz gebracht hat, sondern sein Vermögen einfach so hat arbeiten lassen, kommt mit der Selbstanzeige trotzdem günstiger weg als mit der pauschalen Abgeltungslösung. Zumal wenn er in dieser Zeit noch Kursverluste hatte, was angesichts der Börsenhistorie nicht unwahrscheinlich ist. Diese wurden in den Beispielfällen nicht gegengerechnet.

Die Steuerexperten gingen vereinfacht von steten Dividendeneinnahmen aus dem 20-prozentigen Aktienanteil im Depot von zwei Prozent pro Jahr aus. Die Anleihen, in denen der Rest angelegt ist, sollen seit Ende 2002 mit 3,5 Prozent pro Jahr rentiert haben.

Fall 3 lässt alle uneingeschränkten Anhänger der Steuergerechtigkeit richtig unruhig werden: Brachte der Steuersünder auch in den vergangenen Jahren noch regelmäßig Schwarzgeld über die Grenze, ist die Abgeltungslösung in der Regel günstiger als die Selbstanzeige.

Denn bei einer Selbstanzeige fiele vor allem die nicht gezahlte Einkommensteuer ins Gewicht – in den Beispielrechnungen wurde der Spitzensteuersatz angenommen. Bei der Abgeltungslösung interessiert die Schweizer Banken dagegen nicht, ob das Geld schon einmal versteuert wurde, bevor es bei ihnen landete. Sie ziehen stur den Anfangsdepotwert vom Endwert ab und füllen damit die mathematische Formel aus.

Dies führt dazu, dass tatsächlich jene am besten wegkommen, die am hemmungslosesten agierten: Die, die regelmäßig Geld am deutschen Fiskus vorbeischleusten, und es mit vollen Händen in der Schweiz ausgaben – ob für Uhren, Schmuck, Immobilien oder schöne Reisen. Der Wertzuwachs zwischen den Stichtagen ist minimal, mehr als 19 Prozent müssen sie nicht entrichten. „So billig sind solche Fälle noch nie davongekommen“. Nicht bei der Steueramnestie 2004 und auch nicht in den 1980er-Jahren.

Einziges Problem für die auf die Abgeltung wartenden reichen Sünder: All die schönen Rechnungen helfen nicht, wenn Steuerfahnder bereits die Fährte aufgenommen haben. Klingeln sie eines Morgens an der Haustür, ist es für eine Selbstanzeige zu spät.

3. Oktober 2011 at 06:02 Hinterlasse einen Kommentar

Sir Bob Geldorf – Vom Live-Aid-Initiator zum Fond-Investor

Sein Name stand bislang für Musik und Hilfsprojekte. Jetzt wird Bob Geldof zum renditeorientierten Investor, der afrikanische Firmen aufkaufen will.

Er kommt tatsächlich eine Stunde lang ohne das F-Wort aus. Offenbar weiß er doch, wann es angebracht ist, gediegen und gesittet aufzutreten. Hier in der Frankfurter Villa Kennedy, einem noblen Fünfsternehotel, ist so ein Moment. Bob Geldof, der gute alte Popstar, will rund 50 geladene Gäste für Afrika begeistern und, wichtiger noch, er will ihr Geld, für einen Eigenkapitalfonds, dem er neuerdings vorsteht. „8 Miles“, heißt der Fonds, denn nur acht Meilen ist Afrika von Europa entfernt.

Doch in den Köpfen sind es oft Lichtjahre. Und genau gegen diese Ignoranz kämpft Geldof seit über 25 Jahren. Alles begann im Jahre 1984, als er vor dem Fernseher in seiner Wohnung im Londoner Stadtteil Chelsea saß und verhungernde Kinder in Äthiopien sah. Das war der Start seiner Helferkarriere. Er organisierte maßgeblich das legendäre Live-Aid-Konzert von 1985, das parallel in London und Philadelphia stattfand und wo in 16 Stunden alles auftrat, was damals Rang und Namen in der Musikszene hatte. Rund 100 Millionen Euro wurden damals an Spenden für Afrika eingespielt.

Damit gibt sich Geldorf heute nicht mehr zufrieden. Diesmal will er eine Milliarde, und die Klientel im Frankfurter Nobelhotel soll das Geld geben. Allerdings soll sie nicht spenden, sie soll investieren. „Für welchen Kontinent prognostiziert der Internationale Währungsfonds für 2012 das höchste Wachstum?“, fragt er ins Publikum, um sich dann selbst zu antworten: „Afrika, 5,4 Prozent“. „Wo wird 2020 die größte Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter leben?“ Natürlich: „Afrika.“ Und: „Wo winken die höchsten Renditen auf Geldanlagen?“ Die Zuhörer kennen die Antwort inzwischen schon.

Geldof ist nicht mehr der junge Mittdreißiger, der einst Live Aid organisierte. Die widerspenstigen langen Haare sind längst grau, die Tränensäcke hängen tief, am kommenden Mittwoch wird er 60. Und wenn man ihn so reden hört, wie er volkswirtschaftliche Zahlen herunterrattert, immer eingebettet in nette Geschichtchen und mit exzellenter Rhetorik vorgetragen, dann kommt man leicht auf den Gedanken, dass sich auch der Mensch Bob Geldof gewandelt hat. Aus dem idealistischen Helfer von einst scheint ein mit allen Marketingtricks ausgestatteter Vertreter des Kapitals geworden zu sein, der sich nun auf der Suche nach Rendite den Schwarzen Kontinent krallen will.

Er tut auch nicht allzu viel, um diesen Gedanken zu zerstreuen. Im persönlichen Gespräch, im Anschluss an seine Werberede, gibt er offen zu, dass er 100.000 Dollar pro Jahr für seinen Job als Gesicht des Eigenkapitalfonds erhält. „Hier geht es nicht um Wohltätigkeit, das ist schlicht Kapitalismus“, sagt er. Dennoch findet er nicht, dass er sich verändert hat. Er habe sich nur konsequent weiterentwickelt. „Ich habe gezeigt, dass ich Rockmusiker zusammenbringen kann und dass ich Politiker zusammenbringen kann“, sagt er. „Jetzt sind die Typen aus der Finanzindustrie dran.“ Sein Thema, Afrika, ist das gleiche geblieben, er spannt nur unterschiedliche Leute vor seinen Karren. So sieht er das.

Und dennoch, er gibt auch zu, dass Wohltaten nicht die Lösung für die Entwicklung des afrikanischen Kontinents sind. Einfach nur spenden, so wie in den 80ern, reiche nicht. Wohlstand entstehe am Ende nur durch Handel – und durch Konsum. Das ist das große Thema, auf das der Fonds setzen soll. „Der Anteil der privaten Ausgaben, die zur freien Verfügung stehen, ist in diesem Jahr in Afrika höher als in Brasilien“, sagt er und ist damit wieder auf der Ebene der Zahlenvergleiche. „In Kenia entfallen schon zehn Prozent der Wirtschaftsleistung auf Telekommunikationsdienste, über die dort heute virtuelle Zahlungsdienste im großen Stil abgewickelt werden.“

Afrika sei kein rückständiger, von Hunger und Kriegen zerfurchter Kontinent mehr, will uns Geldof sagen. Es sei eine Region im Aufbruch, in großen Teilen befriedet, zunehmend besser regiert, über weite Gebiete mit mehr Rechtssicherheit als China. Überhaupt China – die Vergleiche mit dem bevorzugten Ziel der Investoren liebt er. „Alle investieren in China, aber haben Sie sich mal gefragt, warum China praktisch ausschließlich in Afrika investiert?“ Am Ende sollen die Investments den Anlegern zwar eine gute Rendite bringen, wie Geldof verspricht. Letztlich geht es ihm aber darum, Afrika zu entwickeln. Arbeitsplätze sollen damit geschaffen werden, den Menschen soll ein Einkommen verschafft werden. Er verspricht sogar, dass in den Firmen, die der Fonds kaufen will, europäisches Arbeitsrecht gelten solle.

Da ist er dann also doch wieder, der alte Idealismus. Allerdings kann man berechtigte Zweifel haben, dass er sich damit auch durchsetzen kann. Jedenfalls versichert er aber, dass ihm die Menschen wichtig sind. „Die Menschen brauchen das ‚fucking money‘, um damit Familien aufzubauen“, appelliert er. Da ist es also doch wieder, das F-Wort. Wenigstens in seiner Sprache hat sich Geldof dann doch nicht verändert, auch wenn er gelernt hat, dies im richtigen Moment zu verbergen.

3. Oktober 2011 at 06:00 Hinterlasse einen Kommentar

21 Jahre Deutsche Einheit – Korruption und Überwachung haben sich nicht verändert

Den Zielen eines Bürgerrechtlers wird auch das vereinte Deutschland nicht gerecht. Der 3. Oktober ist unser Nationalfeiertag, der Tag der Deutschen Einheit. Es ist der Kulminationspunkt einer Entwicklung, die das Schicksal Deutschlands entscheidend veränderte – und damit auch das Leben jedes Einzelnen von uns. Gleichzeitig war es der Startpunkt einer Entwicklung, die bis heute anhält. Der 3. Oktober steht als Symbol für den Prozess der Wiedervereinigung. Dieser Prozess begann bereits vorher und war mit dem 3. Oktober nicht beendet. Aber es ist der Zeitpunkt der Vereinigung, der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Ein Symbol für die Überwindung der Spaltung, die Deutschland in zwei völlig verschiedene Systeme teilte. Mit der Vereinigung wurde ein Unrechtsstaat überwunden, der in der historischen Erinnerung mit der Stasi, der ständigen Überwachung der Bürger, Zensur und den Mauertoten verbunden wird. Erst mit dem Prozess der Vereinigung wurden Demokratie und Bürgerrechte in der DDR wiederhergestellt. Der 3. Oktober ist damit auch ein Sinnbild für die Überwindung des stetigen und immerwährenden Abbaus von Bürgerrechten, welcher gerade in den letzten Jahren auch in demokratischen Staaten wieder an Fahrt gewinnt. Es ist bezeichnend, dass ein Teil der ehemaligen DDR-Bürgerrechtler auch heute noch aktiv ist. Den Zielen eines Bürgerrechtlers wird auch das vereinte Deutschland nicht gerecht.

Die Wende lief nicht ohne Probleme ab. So wäre es ein wertvolles Signal zur Stärkung der demokratischen Kultur in Deutschland gewesen, wenn das Grundgesetz endlich durch eine Volksabstimmung bestätigt worden wäre. Das Grundgesetz hätte dadurch nicht seine Werte verloren, aber es hätte das Verhältnis zwischen Bürgern und Politikern verbessert. Auch beim Wiederaufbau selbst wurden viele Fehler gemacht; auf die versprochenen „blühenden Landschaften“ wartet man größtenteils immer noch. Der Hauptfehler war es wohl, dass die Vereinigung zu sehr vom Westen dominiert und so hohe Erwartungen geweckt wurden. Mangelnde politische Partizipationsmöglichkeiten für die Bürger führten und führen ständig zu Fehleinschätzungen von Problemen, die dadurch fortbestehen. Wieso hat man bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen für Ostdeutschland nicht mit den Betroffenen geredet? Und wieso macht man es immer noch nicht? Eine transparente Aufarbeitung der Fehler der Wiedervereinigung wurde bislang nicht angegangen. Die zahlreichen Korruptionsvorwürfe und Fragen bleiben somit unbeantwortet.

Auch das belastet das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat. Aber auch jenseits davon ist nicht alles in Ordnung. Schon in den 70ern begann in Westdeutschland ein kontinuierlicher Abbau von Grundrechten. Nach der Wiedervereinigung hat sich dieser Prozess beschleunigt. Egal ob es nun um die Möglichkeiten der telefonischen Überwachung (Großer Lauschangriff), der Überwachung privatester Kommunikation (Vorratsdatenspeicherung) oder Bewegung (Flugdaten-Abkommen) und Zahlungen (SWIFT-Abkommen) geht. Die Überwachungsgier mancher Politiker kennt keine Grenzen. Selbst die Aufnahme von Fingerabdrücken in Ausweise ist kein Tabu mehr. Es scheint fast so, als hätte man alle Lehren aus der Wiedervereinigung vergessen. Als ob man an Sicherheit gewinnen würde, wenn man unbescholtene und unschuldige Bürger bei jedem Schritt und jeder Tätigkeit beobachten, klassifizieren und archivieren würde. Oder gar ihr Verhalten auf Auffälligkeiten überprüfen würde (das von der EU geförderte Projekt INDECT).

Diese Hoffnungen wurden bislang enttäuscht. Wir sehen diese einseitige Tendenz zur Bewertung von Sicherheitsfragen – die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit wird viel zu häufig nur zur Sicherheit und der mit ihr einhergehenden Kontrollwut hin belastet. Wir sollten den 3. Oktober zum Anlass nehmen, umzudenken und die Diskussion zu verändern. Ganz so, wie es der norwegische Ministerpräsident Stoltenberg in bewundernswerter Weise formulierte. Nach dem Massaker in Norwegen vom 22. Juli 2011 forderte er eine offenere, demokratischere Gesellschaft anstatt sich in beinahe hysterischen Grundrechtseingriffen zu ergehen. Wir sollten den 3. Oktober als Zeichen betrachten, dass diese Reaktion die Richtige war! Nur eine freie, demokratische und soziale Gesellschaft kann Spaltungen und Trennungen überwinden.

Die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert ist ein Mahnmal dafür, dass Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit darstellen, sondern zu jedem Moment hart erarbeitet und verteidigt werden müssen. Ab Moment, in dem wir sie nicht mehr bewusst wahrnehmen, werden sie Schritt für Schritt verschwinden.

3. Oktober 2011 at 03:26 Hinterlasse einen Kommentar


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