Archive for 7. Februar 2012

800 Jahre Thomanerchor

Zu Ehren dieses Chores wurden Briefmarken gedruckt und sogar ein Asteroid benannt, der sogenannte „Stella Thomana“. Der Thomaner-Chor ist eine Institution in Leipzig, feiert aber weltweit Erfolge, wie zum Beispiel in Australien, Südamerika oder Singapur.

In diesem Jahr jährt sich die Gründung des Chores zum 800. Mal. Dieses Jubiläum begeht der Chor, gemeinsam mit der Thomaskirche und dem Thomasgymnasium, natürlich mit vielen Konzerten.

Der Beginn der langen und einzigartigen Chortradition liegt beeindruckende acht Jahrhunderte zurück. Im Jahr 1212 – Leipzig besaß erst kurze Zeit das Stadt- und Marktrecht – wurde der Thomaskirche eine Schule angegliedert, wo die Knaben vor allem dafür ausgebildet wurden, den musikalischen Dienst anstelle der Chorherren zu übernehmen. Die Thomasschule war zugleich Leipziger Bürgerkindern zugänglich und gilt daher als Deutschlands älteste öffentliche Schule. Über einen Zeitraum von 300 Jahren blieb sie auch Leipzigs einzige Schule. Der Thomanerchor ist somit Leipzigs älteste Kultureinrichtung.

Die Musik besaß im mittelalterlichen Bildungskanon einen sehr hohen Stellenwert, in ihr sah man die göttliche Ordnung widergespiegelt. Die Thomaner sangen, quasi als Gegenleistung für Schulbildung und Unterkunft, während der Gottesdienste, bei Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen sowie Veranstaltungen der Ratsmitglieder.

Im Zuge der Einführung der Reformation in Leipzig kamen im Jahr 1543 die Thomasschule, und somit auch der Chor, unter städtisches Patronat. 1553 erhielt die Thomasschule ein neues Schulgebäude, das mit einigen Umbauten bis 1902 stand. Damals lag die Schule direkt neben der Thomaskirche. Rektor und Kantor bewohnten gemeinsam mit den Wocheninspektoren und den Schülern das Thomasschulhaus.
Heute leben, lernen und proben die Thomaner im knapp 1000 Meter vom historischen Standort entfernten Alumnat und besuchen das gegenüberliegende Thomasgymnasium. Die kurzen Wege zwischen Schule, Stube und Probenräumen ermöglichen es, neben dem ganz normalen Alltag das hohe Arbeitspensum zu meistern und trotzdem noch genügend Freizeit zu haben.

7. Februar 2012 at 12:24 Hinterlasse einen Kommentar

Die enttäuschten Konservativen in der CDU formieren sich

Als Roland Koch vor eineinhalb Jahren die politische Arena verließ, hat er der CDU ein Vermächtnis in Form eines Buchs hinterlassen. „Die Konservativen leben noch“, schrieb Koch darin. „Sie wissen nur nicht mehr so genau warum.“ Und weiter: „Konservative sind heute nicht heimatlos, aber planlos.“

Dieses vernichtende Urteil seines langjährigen Ministerpräsidenten will Christean Wagner nicht auf sich sitzen lassen. Seit zwei Jahren schon schart der Chef der hessischen CDU-Landtagsfraktion hin und wieder Freunde aus der Partei und ihrem Umfeld um sich, die sich selbst konservativ nennen und denen der Modernisierungskurs von CDU-Chefin Angela Merkel gegen den Strich geht. Eine lockere Runde war das bisher, aus deren Mitte gelegentlich ein folgenloses Papier entstand. Doch nun soll sie mehr Schlagkraft bekommen. Einen Namen hat man schon gefunden: „Berliner Kreis“. Eine Gründungserklärung soll folgen, eine Internetseite, ein richtiger Chef und Sprecher. Die Konservativen, so Wagners Vorstellung, sie sollen nicht länger planlos sein.

Die CDU-Führung beobachtet das Treiben des hessischen Hardliners und seiner Gesinnungsgenossen mit zunehmendem Argwohn. „Es geht nicht, dass so was institutionalisiert wird“, ließ Unionsfraktionschef Volker Kauder unlängst wissen, selbst dem konservativen Lager zuzurechnen, kraft seines Amtes aber zur Loyalität verpflichtet.

Finanzminister Wolfgang Schäuble wollte gar eine „rote Linie“ überschritten wissen, sollte sich der Kreis einen Geschäftsführer geben. Nun wird Generalsekretär Hermann Gröhe die Enttäuschten ins Gebet nehmen. Für Dienstagabend hat er den Berliner Kreis ins Berliner Konrad-Adenauer-Haus geladen.

Beim gemütlichen Beisammensein will Gröhe den Gästen höflich klarmachen, dass man ein neues Netzwerk in der CDU nicht goutiert. Eigentlich könnte die CDU-Zentrale Gelassenheit demonstrieren. Schließlich ist die Kanzlerin und Parteichefin populär und unangefochten wie nie, im Volk und in der Partei. Doch damit das so bleibt, will die Führung der Christdemokraten unbedingt verhindern, dass sich aus der losen Selbsthilfegruppe frustrierter Traditionalisten eine organisierte Plattform von Merkel-Gegnern entwickelt, die die leidige K-Frage dauerhaft auf der Agenda hält: Ist die CDU noch konservativ genug? Ist eine CDU, die sich im Eiltempo von der Atomkraft, der Wehrpflicht und der Hauptschule verabschiedet, noch meine Partei?

Im „Berliner Kreis“ wird der Vorwurf, eine Anti-Merkel-Bewegung gründen zu wollen, brüsk zurückgewiesen. „Das ist Unsinn“, sagt Wolfgang Bosbach, der Vorsitzende des Innenausschusses, der in den vergangenen Monaten den Euro-Kurs der Kanzlerin scharf kritisiert hat. Für die harschen Reaktionen der CDU-Spitzenvertreter hat er kein Verständnis. „Es gibt keine revolutionäre Tendenzen“, sagt Bosbach. Man wolle dabei helfen, verlorengegangene Wähler zurückzugewinnen – damit das Ziel „40 Prozent plus x“ endlich wieder erreichbar werde.

Ähnlich hat sich Gründer Christean Wagner geäußert, in diesen Tagen schweigt er lieber. Erika Steinbach, CDU-Abgeordnete und Vertriebenen-Präsidentin, erklärte, die Parteispitze solle sich über das Engagement der „kritisch-wohlwollenden Geister“ freuen.

Die Freude allerdings will nicht so recht aufkommen, weil die Betonung eher auf kritisch denn auf wohlwollend liegt. „Wenn wir als Union eine starke politische Kraft bleiben wollen, darf der Zeitgeist unser Handeln nicht bestimmen“, heißt es im Entwurf für ein Gründungsmanifest des „Berliner Kreises“. Auch wenn der Name der Vorsitzenden nicht genannt wird, so ist doch klar, gegen wen sich der Vorwurf der „Konturlosigkeit und Relativismus“ richtet. Es ist die CDU von Angela Merkel, mit der hier abgerechnet wird.

Mit Unbehagen beobachten Partei- und Fraktionsspitze auch, dass nicht nur alte Recken oder notorische Nörgler bei dieser Abrechnung mitmachen. Wagner wird zwar bald 70, Steinbach ist 68, Bosbach denkt mit 59 langsam ans Aufhören.

Aber auch Vertreter der jüngeren Abgeordneten-Generation wie Thomas Bareiß, 36, Christian von Stetten, 41, oder Thomas Dörflinger, 46, gehören zu den potentiellen Mitstreitern.

Mit anderen Worten: Es sind nicht nur die üblichen Verdächtigen, die schon seit längerem in regelmäßigen Abständen aufheulen, deren Frust an der Spitze der Partei aber rasch vergessen und verdrängt wird – so wie nach dem Rundumschlag, zu dem der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel im Sommer ausgeholt hatte. Die kurze Richtungsdebatte ließ Merkel wie ein reinigendes Sommergewitter über sich ergehen, dann war wieder Ruhe. Auf dem Parteitag einige Wochen später traute sich kaum noch einer aus der Deckung.

Nun aber schließen sich auch ein paar junge Gesichter vom wirtschaftsliberalen Flügel, und damit aus dem Herzen der Unionsfraktion, der Bewegung an. Und die haben mit ihrer Polit-Karriere längst noch nicht abgeschlossen, sondern noch etwas vor. Generalsekretär Gröhe könnte also ein munterer Abend bevorstehen.

7. Februar 2012 at 12:00 Hinterlasse einen Kommentar

Vor 50 Jahren entzündete sich in einer Kohlegrube im Saarland Methangas und setzte eine tödliche Kettenreaktion in Gang

Ob es fünf Sekunden waren nach dem Knall oder vielleicht doch nur eine, daran kann sich Hartmut Warken nicht mehr erinnern. In seinem Gedächtnis sollte es ihm sowieso sein Leben lang wie eine Ewigkeit vorkommen, dieses Bild von dem Feuer, das in einer wellenförmigen Bewegung auf ihn zuraste.

Reflexartig riss der junge Bergmann seinen Arm vor sein Gesicht, eine irgendwie hilflose Geste angesichts der Naturgewalt, die da auf ihn zukam. Die Druckwelle der Explosion schleuderte ihn auf den Rücken; das Feuer verbrannte seinen Oberkörper, sein Gesicht, die Innenseite seines rechten Armes. Halb benommen hörte der 17 Jahre alte Lehrling seinen Ausbilder rufen, dass man raus müsse aus dem Stollen, schnell, und zwar gegen den Luftstrom.

Fünfzig, sechzig Meter schaffte Warken es noch, bis er von dem Grubengas ohnmächtig wurde und zusammenbrach: gefangen im saarländischen Steinkohlebergwerk Luisenthal, Sohle IV, Klärstreb III/E, mehr als 600 Meter unter der Erdoberfläche.

Es muss etwa 7.45 Uhr an jenem 7. Februar 1962 gewesen sein, als die schlimmste Bergwerkskatastrophe in der Geschichte der Bundesrepublik mit einer heftigen Schlagwetter-Explosion ihren Anfang nahm: Im Alsbachfeld, einem von drei unterirdischen Abbaufeldern, die zu der Grube Luisenthal gehörten, war in den Kohleflözen eingeschlossenes Methangas ausgetreten und hatte sich entzündet. 299 Menschen starben, einige an Verbrennungen, die meisten aber an Gasvergiftungen. Nur einmal, noch vor der Gründung der BRD, waren in Deutschland mehr Bergleute ums Leben gekommen: 1946 starben in einer Bergkamener Zeche 405 Kumpel.

Die genaue Ursache des Funkenschlags in Luisenthal konnte selbst vor Gericht nie geklärt werden – seine verheerende Wirkung spürte Johann Rausch jedoch unmittelbar nach der Explosion. Und zwar über Tage: Rausch war am Alsbach-Schacht für die Seilfahrten der Bergleute und des Materials verantwortlich. Er wartete gerade auf einen Förderkorb, als er den Knall hörte. „Plötzlich wurde ich zehn bis 15 Meter durch die Luft geschleudert. Dann hörte ich schon die Stimmen meiner Kollegen, die riefen: ‚Du lebst ja noch, Gott sei Dank!'“.

Wie durch ein Wunder blieb er bis auf einige Prellungen unverletzt. „Dabei hat mich die ‚Bild‘-Zeitung als den ersten Toten vermeldet“, sagt der inzwischen 82-Jährige empört im Interview. Der „Bild“-Reporter habe geglaubt, er sei in die Tiefe gestürzt.

Vielleicht lag die Fehleinschätzung an der Wucht der Explosion, die so gewaltig war, dass sie sogar zwei 20 Tonnen schwere Schachtdeckel durch die Luft wirbelte; einer blieb sogar in sechs Metern Höhe in einer Verstrebung des Schachtgerüsts hängen. Eine schwarze Rauchwolke stieg aus dem Schacht; ansonsten wirkte Minuten nach der Explosion von außen alles friedlich.

Hunderte Meter darunter müssen sich Tragödien abgespielt haben. Johann Rausch, der trotz seiner Verletzungen den ganzen Tag weiterarbeitet und die Rettungskräfte unterstützte, konnte sie manchmal erahnen. Etwa, als er zwei Bergleute sah, die mit schwersten Verbrennungen aus der Tiefe geholt wurden. „Niemals“, sagt er, „niemals werde ich diesen Anblick vergessen. Man kann nicht mit Worten beschreiben, wie verbrannte Menschen aussehen.“ Und so versucht er es erst gar nicht und sagt nur leise: „Furchtbar.“

Derweil war die saarländische Kleinstadt Völklingen, deren Stadtteil Luisenthal Namensgeber der Grube ist, in Aufruhr. Die Nachricht von der Explosion hatte sich rasend schnell herumgesprochen. Die ganze Region lebte von dem Bergbau, in der Zeche Luisenthal waren rund 2000 Menschen angestellt. Kaum einer, der keine Freunde und Verwandte hatte, die unter Tage arbeiteten. Und kaum einer, der jetzt keine Angst hatte.

Denn Luisenthal galt wegen der hohen Methangaskonzentration in den Flözen als besonders anfällig für Schlagwetter-Explosionen. Allein von 1904 bis 1954 wurden hier 20 Brände und Explosionen gezählt; schon 1941 waren hier 31 Bergleute gestorben. Andererseits wurde gerade deswegen besonders viel in die Sicherheit investiert und die Zeche mehrfach wegen ihrer modernen Technik und der hohen Sicherheitsstandards ausgezeichnet. Bis zum Morgen des 7. Februar sah es so aus, als könne man die Gefahren bändigen.

Doch jetzt strömten die Angehörigen der Bergarbeiter beunruhigt zum Hauptschacht der Grube. Bei Nieselregen harrten Hunderte dort stundenlang aus und hofften, Näheres zu erfahren: Wo liegt das Zentrum des Unglücks? Wer war wann wo zur Arbeit eingeteilt? Gibt es Eingeschlossene?

Auch Gerhard Thurn, der wegen einer Kieferoperation am Tag des Unglücks krankgeschrieben war, wurde frühmorgens aus dem Schlaf gerissen. Seine Großmutter hatte im Radio von der Explosion gehört und ihn sofort geweckt. Thurn konnte kaum glauben, dass die Schlagwetter im Bereich des Alsbachfelds stattgefunden haben sollen. „Das war mir völlig unverständlich“, erinnert er sich, „weil es als das sicherste Kohlefeld der ganzen Grube galt.“ Vor allem wusste er: Seine fünf Kameraden, mit denen er sonst zusammen in einem Team arbeitete, müssten jetzt alle dort unten sein.

Er hatte recht – und seine schlimmsten Befürchtungen traten ein: Keinen seiner fünf Kameraden sah er lebend wieder. Die Kiefer-OP hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. Für Thurn ist der tragische 7. Februar daher „so etwas wie ein zweiter Geburtstag“. Ein seltsamer Geburtstag, findet er, es gibt nichts zu feiern, er kann nur dankbar sein für Glück, Zufall und Schicksal. „Es ist ein Tag zum Innehalten“, sagt der 76-Jährige – und ist dennoch jedes Mal froh, wenn der Februartag vorbei ist.

Dieses Jahr ist die Erinnerung besonders präsent, denn zum 50. Jahrestag hat sich die ganze Polit-Prominenz des Saarlands angekündigt, um der 299 Opfer zu gedenken. Das bedeutet mehr Reden, mehr Händeschütteln, mehr Medienberichte. Und das bei einer Katastrophe, die außerhalb Völklingens eigentlich längst in Vergessenheit geraten war – ganz anders etwa als das Grubenunglück von Lengede nur anderthalb Jahre später. Dabei hatte es dort mit 29 Toten weit weniger Opfer gegeben.

Lengede aber blieb im Gedächtnis, weil noch nach zwei Wochen elf eingeschlossene Kumpel gerettet werden konnten. Das war Stoff fürs Kino. Von Luisenthal hingegen gibt es kaum Fotos, keine ikonischen Aufnahmen, keine gefeierten Volkshelden. Hier blieben die Wunder schlichtweg aus. Wer nicht in den ersten Stunden nach der Explosion gerettet wurde, schaffte es nicht mehr. Von 664 Bergleuten im Alsbachfeld starben 299.

Für die Rettungskräfte eine deprimierende Arbeit. „Man fand ja fast nur Tote“, sagt Gerhard Thurn. Als Ortskundiger wies er den Helfern, von denen die meisten von außerhalb kamen, den Weg durch das kilometerlange Gewirr aus Stollen und Gängen. Nur ein Bergmann wurde in seinem Abschnitt lebend gefunden – der einzige Lichtblick nach Stunden.

Weil die Toten nicht über den beschädigten Alsbach-Schacht geborgen werden konnten, mussten die Leichen in die Waggons der unterirdischen Bahn getragen werden. Normalerweise fuhren damit die Bergleute zu ihrer Arbeitsstelle, jetzt wurden damit die Leichen zu einer letzten, drei Kilometer langen Reise bis zum Hauptschacht der Grube geschickt.

Und dort, über Tage, wuchsen bei den Angehörigen Angst, Wut und Verzweiflung. Die Listen mit den Toten wurden stündlich länger. Ein Reporter des „Hamburger Abendblatts“ berichtete, dass einige Frauen sogar versucht hätten, die Halle zu stürmen, in denen die Toten aufgebahrt wurden: Sie konnten die Ungewissheit nicht mehr ertragen.

Doch manchmal gab es Erfolgsmeldungen – wie die von Hartmut Warken: Nachdem der 17 Jahre alte Lehrling bewusstlos geworden war, wachte er fünf Stunden später im Krankenhaus auf. „Beruhigen Sie sich, Sie sind gerettet“, waren die ersten Worte, die er wahrnahm. Dann dämmerte er wieder weg.

Ohne zu wissen, dass ihm beinahe die Lunge geplatzt wäre; dass sein Ausbilder, der neben ihm gestanden hatte, nicht mehr lebte; dass sein Bruder, der nur etwa 60 Meter weiter entfernt gearbeitet hatte, noch viel schwerer verletzt war als er selbst und fünf Tage später starb.

Wegen der schweren Verbrennungen musste Warken zwei Monate stationär behandelt werden. Am 16. Februar wurde er 18 Jahre alt. Es sollte sein schlimmster Geburtstag werden. „Da lag ich im Krankenhaus und ausgerechnet an diesem Tag wurde auch mein Bruder beerdigt“, erzählt er. „Ich war ganz allein. Psychologische Hilfe gab es damals noch nicht.“

Man hört es ihm an, dass er sie benötigt hätte. Nach all den Jahren versagt seine Stimme immer noch, wenn er von dem Unglück erzählt. „Ich habe versucht, es zu verdrängen. Es geht einfach nicht. Die Sache holt mich immer wieder ein.“ Unter Tage, das entschied er sofort, wollte er nie wieder arbeiten.

Statt psychologischer Hilfe gab es für die Luisenthaler damals Beileidsbekundungen von John F. Kennedy oder Papst Johannes XXIII. Dazu kamen private Spendengelder aus der ganzen Welt. 500 Mark erhielt Warkens Mutter aus dem Spendentopf für ihren verletzten Sohn; 1000 Mark für den verstorbenen. Und von dem Grubenbetreiber, den Saarbergwerken? „Von denen“, sagt Hartmut Warken tonlos, „gab es einen festen Händedruck.“

7. Februar 2012 at 11:59 Hinterlasse einen Kommentar

Kokain bei Amazon bestellen?

Sophia Stockton ist Studentin an der MidAmerican Nazarene Universität in Olathe, einem Vorort von Kansas City im gleichnamigen US-Bundesstaat. Mit dem Buch „Understanding Terrorism: Challenges, Perspectives, and Issues“ wollte sie sich auf ein Uni-Seminar zum Thema Terrorismus vorbereiten.

Und wie die meisten Studenten, die ein bisschen Geld sparen wollen, bestellte sie die Lektüre gebraucht und wählte dafür den Versandhändler Amazon. Dass sie ein unerwartetes Extra mitgekauft hatte, merkte sie erst ein paar Tage später.

„Ich hab ein bisschen durch die Seiten des Buchs geblättert, und da ist es plötzlich herausgefallen“, sagt sie im Interview mit dem örtlichen Fernsehsender KCTV5. Es, das war weißes Pulver in einer Plastiktüte. Es purzelte thematisch an einer passenden Stelle aus dem Buch: Auf den Seiten ging es darum, wie Terroristen auf dem Postweg Angst und Schrecken verbreiten.

Was ihr da genau in die Hände fiel, wusste Stockton nicht, hielt die pulvrige Substanz aber passend zu ihrem Lesestoff für Milzbrandsporen und brachte die Tüte zum Polizeirevier der Gemeinde Gardner, einem Vorort von Kansas City. Der Polizist nahm den Drogenfund offenbar mit Humor. Er löste das Rätsel um das weiße Pulver und fragte, ob sie zufällig Kokain mitbestellt habe. Die drei Gramm der Droge hatten einen Wert von 400 Euro, teilte ihr die Polizei mit.

Im Web ist die Studentin aus dem mittleren Westen nun für kurze Zeit berühmt, viele kennen ihren Namen, und ein Leser ihres Facebook-Profils kommentierte einen Artikel auf ihrer Seite mit den Worten: “ Girl, you famous now.“

Die Schuld für den ungewollten Drogenversand gibt Stockton nicht dem Versandhändler, sondern dem Vorbesitzer des Buchs. Mitleid mit ihm wegen des finanziellen Verlusts hat sie nicht. Derjenige müsse verrückt gewesen sein, den Stoff in dem Buch gelassen zu haben, so die Studentin. „Aber ich bin irgendwie auch froh, dass es jetzt weg von den Straßen ist.“

Ein Sprecher der Polizei von Gardner bestätigte den Vorfall, man haben den Vorfall nicht an Amazon gemeldet. Einige Kunden des Online-Versands hofften wohl auf ähnliches Finderglück wie Studentin Stockton. Das Buch „Understanding Terrorism: Challenges, Perspectives, and Issues“ jedenfalls ist bei Amazon nur noch neu erhältlich. Die Gebrauchtbestände sind ausverkauft.

7. Februar 2012 at 09:33 Hinterlasse einen Kommentar

Geschichten von „dahoam“

Noch vor wenigen Jahren war Rita Falk arbeitslos, heute zählt sie im Subgenre des Provinzkrimis zu den erfolgreichsten Autoren. Zwar findet sich das niederbayerische Niederkaltenkirchen, wo sie ihren zünftigen Dorfgendarmen Franz Eberhofer ermitteln lässt, auf keiner Landkarte, aber die Bezüge zu ihrer süddeutschen Heimat sind unverkennbar und ziehen sich durch bis in die erzählerische Sprache.

Ähnlich wie ihre Kollegin Nele Neuhaus, die im Taunus morden lässt, ist auch die 1964 in Oberammergau geborene Falk recht überraschend auf der Bestsellerbühne aufgetaucht. Nachdem die Bürokauffrau 2008 ihren Job verlor, zauderte sie nicht lange: „Bevor ich acht Stunden blöd aus dem Fenster schau‘, schreibe ich lieber einen Roman“, begründet sie ihren Entschluss, Schriftstellerin zu werden.

Das Manuskript ihres ersten Krimis versandte sie eigenhändig an eine ganze Reihe von Verlagen, die mit höflichen Standardabsagen antworteten. Erst als Falk die Frankfurter Literaturagentur Copywrite einschaltete, wendete sich das Blatt. „Wir waren sofort elektrisiert“, erinnert sich Inhaber Georg Simader, der fünf Verlagshäuser kontaktierte, von denen gleich vier Interesse zeigten. Den Zuschlag bekam dtv, dort erschien der erste Eberhofer-Krimi unter dem Titel „Winterkartoffelknödel“. In der Broschurausgabe erreichte das Buch sogar Platz 12 der Jahresbestsellerliste 2011 bei den Belletristik-Hardcovern.

7. Februar 2012 at 09:30 Hinterlasse einen Kommentar

Die Familie Schlecker steht nach eigener Aussage mit leeren Händen da

Nur einmal innerhalb dieser zwei Stunden schwingt in Meikes Schleckers Stimme ein Hauch von Aggressivität mit. Als eine Journalistin bei der Pressekonferenz in der Ehinger Firmenzentrale abermals fragt, warum die Eigentümerfamilie vor zwei Wochen nicht einfach die offene Rechnung über 22 Millionen Euro aus eigener Tasche bezahlt habe, um die Insolvenz der Drogeriekette Schlecker zu verhindern. „Ich glaube, Sie haben das nicht verstanden“, antwortet die 38-Jährige bestimmt. „Mein Vater hat auch die private Insolvenz angemeldet. Es ist nichts mehr da.“

Ihr Vater Anton führte den Großteil des Konzerns in Deutschland tatsächlich als „eingetragener Kaufmann“ (e.K.). Und das bedeutet, dass er im Falle der Insolvenz persönlich haftet. Mit allem, was er hat. Deshalb ist der „e.K.“ auch so selten in Deutschland. Ob Anton Schlecker diese Form aus Überzeugung und Verantwortungsgefühl oder aus Unwissenheit oder Selbstüberschätzung wählte, ist unklar. Jedenfalls tat er es. Und jetzt ist eben „nichts mehr da“.

Lässt sich vor einer Insolvenz heimlich Vermögen beiseiteschaffen, das den früheren Eigentümern auch nach dem Untergang der Firma ein angenehmes Leben garantiert? Jetzt werden alle Transaktionen der vergangenen zehn Jahre durchleuchtet, bei denen möglicherweise Werte aus dem Unternehmen geschafft wurden. „Sollten dabei innerhalb der vergangenen vier Jahre größere Vermögensgegenstände aus dem Unternehmen herausgenommen worden sein, kann der Verwalter sie relativ leicht anfechten und im Idealfall rückgängig machen“. Bei Transaktionen, die zwischen fünf und zehn Jahren zurückliegen, sei das ebenfalls möglich, wenn auch nicht ganz so einfach.

So entdeckte Reichtümer kämen der Masse zugute, also auch den Gläubigern, denen Schlecker noch Geld schuldet. Fragt sich nur, ob Anton Schlecker in den vergangenen drei oder vier Jahren tatsächlich noch Reichtümer verteilen konnte. Denn seit dieser Zeit schon geht es dem Unternehmen schlecht.

Was sich die Familie bereits vor 15 oder 20 Jahren – völlig legal – aus ihrem Unternehmen genommen hat, taucht auf diesem juristischen Radarschirm nicht auf. Dass die Kinder Erträge aus dem Verkauf von Zahnbürsten, Windeln und Bodenreiniger erhalten haben, ist ziemlich wahrscheinlich. Denn Meike Schlecker sagt, dass auch sie und ihr Bruder „einen großen Teil des Vermögens“ während der Krise in das Unternehmen gesteckt hätten. Von dort dürften die Millionen auch mal gekommen sein. Wie groß der kleinere – übrig gebliebene – Teil des Vermögens ist, wissen wohl nur die Schleckers und ihre Steuerberater.

Es dürfte mehr sein als „nichts“ – aber vielleicht nicht genug, um schnell ein 22-Millionen-Loch in der Firmenkasse zu stopfen. Zudem haben Anton und seine Frau Christa nach Worten der Tochter früh Gütertrennung vereinbart. Christa muss wohl für die Insolvenz der Anton Schlecker e.K. keine eigenen Reichtümer aufgeben – falls sie welche hat.

Immerhin drückte Meike Schlecker nicht so auf die Tränendrüse wie zuvor Madeleine Schickedanz. Die Quelle-Erbin, die mit dem Niedergang und der Insolvenz von Arcandor Milliarden verloren hatte, jammerte in einem Interview, sie müsse jetzt beim Discounter einkaufen und könne sich kaum eine Pizza an der Ecke leisten. „Ich beklage mich nicht“, sagte dagegen Schlecker, „wir kommen zurecht.“

Andere ehemalige Größen der Wirtschaft, deren Firmen pleitegingen, kommen auch zurecht, wie z.B. Utz Jürgen Schneider, Madeleine Schickedanz, Ignaz Walter, Lars Windhorst, Manfred Schmider, Michael Kölmel – die aufgezählten Herrschaften sind natürlich nur ein kleiner Teil einer relativ großen Gruppe Pleitiers, die es genauso handhaben. Allerdings musste keiner von ihnen Privatinsolvenz anmelden wie Anton Schlecker.

7. Februar 2012 at 09:26 Hinterlasse einen Kommentar


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